Porsche 911 - Von der Schönheit des Beständigen
Porsche-Klassiker 911
Von der Schönheit des Beständigen
Luxus ist in diesem Wagen wie an eine ferne Idee von Askese gebunden und seine Form ein vollkommenes Bild von Energie
Nichts ist einfacher als Porsche fahren. Es gab Autos wie den alten Käfer oder den Ford M3, es gibt immer noch solche Autos, und sie sind nicht alle billig oder alt, bei denen ist von der ersten Kurve an fahrerisches Können gefragt. Man muss schnell schalten können, um sie in Fahrt zu halten, gut lenken, um sie auf der Straße zu halten. Man fährt sie mit Händen und Füßen und nicht selten mit knirschenden Zähnen. Man flüstert mit ihnen wie ein Araber mit seinem Lieblingshengst und brüllt sie an wie ein besoffener Kutscher sein Zugtier. Einen Porsche fährt man nicht mit dem Bizeps oder mit der harten Hand, man fährt ihn wie Schorsch Meier seine BMW oder wie Zeus seine Lieblingswolke: mit dem Hintern. Ein sanfter Schub, ein leichter Druck, alles andere passiert von selbst. Wolken sind so. Natürlich fährt man einen Porsche auch mit den Augen, vor allem ab 220 oder 240 Stundenkilometern, wenn die Landschaft sich verflüssigt, wenn das Licht härter wird und die Dinge schneller auf einen zukommen.
Den 911er fahren ist ein Urerlebnis. Wie die Rückkehr in eine Heimat, die immer nur versprochen war. Oder wie die Schule, von der wir immer geträumt haben auf harten Bänken oder wackligen Drehstühlen, in muffigen Klassenzimmern und auf harten Übungsplätzen, in all den Schulen, in denen uns schlecht bezahlte Pädagogen trockene Weisheiten einzutrichtern versuchten: Da träumten wir von einer Schule, die ihre Lernziele aus der libidinösen L-Klasse beziehen würden: Lust. Leben. Liebe. Laster. Leidenschaft... und ab und zu etwas Lautstärke. Eine Schule, deren Lehrer so aussehen würden wie die wunderbaren Geliebten, die wir uns ebenfalls erträumten. Einige von uns wussten damals schon, dass es auch eine L-Klasse auf Rädern gab. Nur konnte sich keiner von uns einen 911er leisten. Er war so fern und quälend schön wie Charlotte Rampling oder später Cindy Crawford. Es gab einen Stich, wenn man sie sah. Man ahnte, dass es in der Liebe zu solchen Wesen nicht ohne Leiden abgehen würde. Richtig gesund konnte das nicht sein.
Dabei war der Porsche, jedenfalls der 911er, alles andere als weiblichen Geschlechts. Anders als die latin lovers, die Italiener, Spanier, Franzosen, die ihre Autos, ob Damen oder Luder, sprachlich als weibliche Wesen behandeln, verweigerte sich der 911er jeder Effeminierung. Porsche, das klang wie Bursche. Und hörte sich auch so an: dieses heisere Flüstern, das sich zu einem Gebrüll steigern konnte, wild, aggressiv, fordernd – irgendwas war wüst daran.
Von diesen lauten Flegeljahren will der neue 911er nichts mehr wissen, sein Soundmanagement bevorzugt die Klangpalette domestizierter Katzenarten. Es habe schon alte Kunden gegeben, langjährige Porschefahrer, die deswegen zur röhrenden italienischen Konkurrenz abgewandert seien, weiß man im Werk zu berichten. Dagegen sei jetzt Abhilfe geschaffen: Auf Wunsch ist neuerdings ein Auspuffsystem erhältlich, das den alten Sound originalgetreu – und stärker! – liefert, auf Knopfdruck auch wieder abschaltbar, falls das Gegrummel auf längeren Ausfahrten stört.
Auch Porsche muss an eine Klientel denken, die auf ihre Bandscheiben Rücksicht nimmt und einem bescheidenen Luxus, ein wenig duftendem Leder, einer funktionierenden Klimaanlage und einer gepflegten Akustik nicht abgeneigt ist. Dennoch ist Porsche beim 911er nie dem allgemeinen Hang zur Dekadenz gefolgt. Zwar gab die fragile Eleganz der frühen 911er, in denen der Geist der Sechziger seinen perfekten Ausdruck fand, später den Turbobürzeln und barocken Schenkeln der Achtziger und Neunziger nach. Aber über alle Wachstumskrisen hinweg ist der 911er dem Ideal des Sportwagens treu geblieben und hat es damit – nach mehr als dreieinhalb Jahrzehnten – weltweit zum Archetypen gebracht: Sag einem Kind, es soll einen Sportwagen zeichnen, und es wird die Umrisse eines 911ers kritzeln.
Auch im Innenraumdesign ist Porsche nicht der Schule der Neuen Prächtigkeit gefolgt, die ihre Insassen in Ledersäcke wie in eine zweite Placenta einnäht und ihnen wie ein Bioadapter jeden Wunsch von den müden Augen und Gliedern abliest. Dabei hat Porsche alles getan, um dem Fahrer – oder der Fahrerin – des 911er das Leben am Volant so leicht wie möglich zu machen. Um beispielsweise die „Navi“ im 911er benutzen zu können, braucht man kein dickes Handbuch zu studieren. Man lernt sie wie von selbst, spielerisch, beiläufig, beim Fahren. Im Lauf seines langen Lebens ist der 911er komfortabler geworden; verfettet ist er nicht, weder von innen noch von außen. Luxus bleibt im 911er wie an eine ferne Idee von Askese gebunden: Er ist nur die etwas aufwendigere Form der Bescheidenheit.
In seiner Formkonstanz über Jahrzehnte hinweg erscheint der 911er als perfekte Inkarnation des Beständigkeitsideals der Bundesrepublik. Und zugleich als Widerlegung derer, die – wie Karl-Heinz Bohrer – dieser Nation immer wieder ihren Mangel an Formvermögen angekreidet haben: Ein Land, das so vollendet schöne Autos baut, kann nicht von allen Göttern der Ästhetik verlassen sein. In der Flankenlinie des neuen 911ers kehrt die lange Gerade des ersten Roadsters von 1948 wieder und tilgt mit einem Strich die Problemzonen des seit den Achtzigern hüftschwer gewordenen Vorgängers. Dessen Problem war zunehmend die nach hinten abfallende, das Heck betonende und stark verjüngende Linie geworden, die einst zum filigran-dynamischen Charme des schlanken Wagens beigetragen hatte. Mit der neuen, stärker den Vorwärtsdrang als den Anschub betonenden Linie kehrt Porsche zu den fließenden Linien der Frühzeit zurück – und unterstreicht sein einzigartiges Vermögen zur Formevolution unter sparsamster Nutzung des einmal gewählten Stilvokabulars.
Keiner unter den europäischen Autobauern – alle anderen wechseln sowieso die Formelemente wie die Unterhemden – hat so beharrlich auf Unverwechselbarkeit gesetzt. Dank der konsequenten Arbeit an einer Linie, die an sämtliche früheren Porschelinien erinnert und alle künftigen keimhaft in sich zu enthalten verspricht, steht der 911er heute einzig da und hat die meisten Konkurrenten, die allenfalls noch im Retrodesign auf ihre einstigen Finessen hinweisen, hinter sich gelassen. Diese Linie lebt – im Unterschied etwa zu der des seligen Jaguar E – nicht von der Anspielung auf den Phallus und seine Schwestern. Sie lebt überhaupt nicht von den Kugeln, Halbbögen und Geraden der menschlichen Erotik. Die Linie des 911er zeichnet vollkommene Bilder der potenziellen Energie im Augenblick des Übergangs in die Bewegung, in kinetische Energie. Beim alten 911er war es eine sprungbereit kauernde, das Geschoss des Wagens vom Heck her antreibende Kraft, beim neuen 911er ist es die nach hinten abfließende Dynamik eines Raubvogels im Sturzflug. Nichts in seinen Linien erinnert mehr daran, dass auch beim neuesten 911er das Antriebsaggregat noch im Heck des Wagens sitzt. Dieser Wagen hat alles hinter sich gelassen, zuletzt sich selbst. Nur die Familienähnlichkeit ist ihm geblieben.
Wir fuhren in diesen Tagen den neuen Targa, und trotz der dichten winterlichen Wolken und der häufigen Regenschauer war es eine Fahrt ins Licht. Nur einmal zuvor, auf einer nächtlichen Überfahrt von Palermo nach Neapel, war uns der Himmel so nah gewesen.
Die Stadt lag jetzt hinter uns, das Land wurde weit, dann kamen die ersten Kurven. Wir nahmen sie, wie beiläufig, leichthin, wie Zeus auf seiner Lieblingswolke. Ein sanfter Schub, ein leichter Druck, alles andere passierte von selbst. Wann war das Leben jemals so einfach gewesen?
Quelle: SZ vom 05.01.02 - gefunden im www
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Mein Porsche ölt nicht ... er markiert!
SC 3.0 Targa - 1982 - grandprixweiss
Geändert von Targarobbi (07.04.2011 um 09:56 Uhr).
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